02.06.2005 Wiesbadener Kurier Zeitreise
in die Ballettgeschichte Wiesbaden - Es war, als würde man live ein Stück Wiesbadener Ballettgeschichte erleben. Ihre Anfänge wurden ab 1961/62 bis 1976 von einem Mann geprägt, den seine ehemaligen Tänzer noch heute verehren. Zu ihnen gehört auch Vera Stifter-Bornheim, die Imre Keres und Kollegen einlud. Aus Paris, Berlin, dem Markgräfler Land, Mannheim und der näheren Umgebung kamen sie zum "Familientreffen" in die Richard-Wagner-Straße, wo jene 101 Jahre alte Jugendstilvilla liegt, die einst Liane Synek erwarb. Die Sopranistin hinterließ ihrem Sohn, dem Pianisten Wolfgang Stifter, dieses stilvolle Erbe. Stifter wiederum begleitete von 1966 bis 1971 am Staatstheater Wiesbaden das Balletttraining, seine Frau gehörte damals zum Corps de Ballett. Heute hat sie im Tiefparterre der Villa ihre Ballettschule. Im Mittelpunkt des zweiten Wiedersehens nach langen Jahren stand natürlich der heute 74-jährige Maestro, Imre Keres. Er lebt heute in Braunschweig. Seine in Wiesbaden geborene Frau Ulrike begann mit acht Jahren im Kinderballett, ging dann zur Cranko-Schule und hatte ihr erstes Engagement in Wiesbaden. 1969 heirateten beide. Imre Keres spricht mit seinem unverändert ungarischen Idiom und erinnert daran, dass ihn Intendant Friedrich Schramm nach Wiesbaden verpflichtet hatte. Doch der erste Intendant, den er dann hier erlebte, war Claus Helmut Drese -"für mich der Beste" - betont Keres. Am Ende seiner Theaterlaufbahn fiel der ehemalige Ballettdirektor nach eigener Schilderung "erst einmal in ein Loch. Die Knochen hatten sehr gelitten". Zu Beginn des Treffens sitzt der in "Szeged" geborene Ungar nicht zufällig mit Benno Sekot zusammen. Den aus Prag stammenden Bassisten kennen Wiesbadener Opernfreunde aus den Jahren 1968 bis 1983. Er war hier fest engagiert und wirkte teils auch als Gast mit. Was die zwei Männer nach wie vor verbindet, ist Eishockey. Zur Zeit des eisernen Vorhangs waren an der Weltspitze Tschechen und Russen die größten Rivalen. "Noch heute telefonieren wir, wenn es ein sportliches Ereignis gibt, das Tschechen und Russen verbindet. Das hat ein spielerisch-galgenhumoriges Moment", erläutert Sekot. An die entscheidende Bedeutung des Künstlers für Wiesbaden erinnern Rosemarie Bischoff, Traute Bernhardt und Ingeborg Runge-Schaschek. Er sorgte dafür, dass das Ballett nicht länger für Nebenaufgaben eingesetzt wurde, wie etwa "bewegliche Statisterie" in der Oper. Das Ballett war bis dahin keine eingenständige Sparte sondern wurde der Operette und der Statisterie zugeordnet. Eigene Ballettabende gab es folglich auch nicht. "Er hat für seine Truppe gekämpft", sagt Bernahrdt. Zu den herausragenden Gästen dieses Wiedersehens gehört auch die in Hochheim lebende Clara Gora, einstige Primaballerina, dann Ballettmeisterin, Choreographin und Trainingsleiterin. Sie baute mit Keres das Wiesbadener Ballett-Ensemble auf. Ihre Freude über die Wiederbegegnungen begründet sie: "Wehmut ist es nicht, sondern das Aufleben einer bestimmten Zeit, die uns viel bedeutet hat. Hinzu kommt die liebevolle Neugier, was aus jedem geworden ist." Viele interessante Details sind von Peter Hahn zu erfahren, der "dem Meister" folgte und von '62 bis '66 theatralisch zur Wiesbadener Truppe gehörte. Seine nächsten Stationen waren die Staatsoper Hamburg und die deutsche Oper Berlin. Der aus Berlin angereiste Mann sagt rückblickend: "Es war die schönste Zeit in meinem Theaterleben. Hier waren die zwischenmenschlichen Beziehungen so hervorragend, wie man sie in großen Ensembles nicht findet. Keres war autoritär, so dass er in Lübeck nach einem Patzer auf der Bühne sogar in die Dusche kam und einem fast die Seife um die Ohren schmierte." Mit 30 Jahren schulte Hahn in Berlin um auf Bankkaufmann. Es kam ihm zugute, daß er bei Keres Disziplin gelernt hatte. Was die Tänzer Joachim Haufe und Edward Arckless in ihrer Rückschau herausstellen, sind die bedeutenden Solisten vom Bolschoi- und Kirow-Ballett, dem Royal Ballett, der Pariser und der Stuttgarter Oper, die während jener Zeit mit der Compagnie auftraten, ohne dass es Gala-Abende waren. Auch bedeutende deutsche Tänzer traten regelmäßig auf. Die Verbundenheit unter den Menschen in dieser lebhaften Tee- und Kaffeerunde versucht Arckless mit Worten zu erklären: "Er war ein richtiger Ballettmeister alter Schule." Von Gabriele C. Jung |